Das Vorgängerkapitel zu diesem findest du hier.
Der Eintrag öffnet sich in Nebs Index.
Was dieser ihm entgegenwirft, hinterlässt bei ihm gemischte Gefühle:
Viridis
Die Viridis (in der Breitenrezeption oft auch “Virids” abgekürzt) sind im Volksglauben ein mutmaßliches Sternenvolk, welches aus Experimenten mit Metamaterialien hervorgegangen ist.
Da kein bisheriger Bericht über die Viridis durch valide Quellen verifiziert werden konnte, zählen sie zur Kategorie “urbaner Mythos”, ähnlich wie Vampire und Werwölfe.
Kontrovers diskutiert werden immer wieder verschiedene Spuren, welche zur Erzählung der Viridis passen, als indirekte Beweise allerdings nicht aussagekräftig genug sind.
Zu diesen Spuren zählen zum Beispiel
Die “Plasmakrater” auf dem Planeten Veriox
Verschiedene “Prophezeiungen”, zu deren Eintreten verschiedene Bestandteile nachweislich funktionsfähig sind
Medien, auf welchen die sogenannten “Ladungswelten” zu sehen sind, deren Echtheit allerdings schwer bis nicht überprüfbar ist
➡️ Vollständige Übersicht aller indirekter Viridis-Spuren
Definition der VTMUM [weniger]
Die Verwaltung der technologisch-meritokratischen Universen-Minarchie (VTMUM), also die zentrale Galaxienregierung definiert die Viridis im Abschnitt “Viridis” der 5. Ausgabe des Grundlagenstatuts “Lagebericht zu interstellaren Gefahrenquellen” wie folgt:
Einleitung [weniger]
“Viridis sind Gegenstand mannigfaltiger und facettenreich ausgeschmückter Geschichten verschiedener Völker. Ihre faktische Existenz ist äußerst unwahrscheinlich. Basierend auf der größten Überschneidung und häufigsten Nennungen definieren wir die Viridis wie folgt:
Gegenstand [weniger]
Die Viridis sind / waren ein galaxieweit operierendes “Volk” zentral gesteuerter Entitäten. Ihr zentraler Ziel und Zweck ist die von vielen Quellen als “Spiegelbild-Evolution” bezeichnete permanente Suche nach Kräften, welche imstande sind, sie zu besiegen.
Sie bestehen wahrscheinlich aus einer Art regenerativem, intelligenten Metallkristall-Metamaterial, welches sich in der subatomaren Skala aus “Yoctoiden” zusammensetzt und nur unter extremen Bedingungen vernichtbar ist.
Yoctoiden, also “Subatommaschinen” sind unserem Verständnis nach ähnlich Naniten, nur noch ungleich kleiner. Yoctoiden messen wohl oftmals nur einige bis ein paar wenige Plancklängen. (Befinden sich also in der Größenordnung 10^-24 m bis 10^-35 m)
Die Viridis wurden in der näheren Geschichte erstmals umfassend und systematisch von Astro-Archäologe Saitama Haikutsu erforscht. Dieser teilt sie in seinem Grundlagenwerk, entsprechend seines eigenen Realitätsbildes, in drei “Klassen” ein:
Der "Kaiser": Es gibt nur einen von Ihnen und er führt sämtliche Angelegenheiten und gibt die Richtung der gesamten "Rasse" vor. Seine “Stimme” ist Strategie und Ziel.
Das "Shōgunat": Die taktischen Koordinatoren und Exekutiven der obersten Direktive.
Die "Samurai": Alle weiteren Angehörigen der Viridis.
… ➡️ Weiterlesen
Einordnung und Relevanz [weniger]
Warum die VTMUM dabei auf einen Volksglauben eingeht, erläutert sie im Anhang zum oben genannten Bericht mit den Worten:
“Auch wenn die Viridis aller Wahrscheinlichkeit nach bloß aufgebauschte Fiktion sind, machen es das bloße Ausmaß und die Konkretheit verschiedener indirekter Indizien notwendig, eine Strategie für das mögliche tatsächliche Aufkommen eines Kontaktes mit Ihnen zu besitzen. Denn ähnlich wie wir unsere Sektoren gegen unwahrscheinliche, aber potenziell extrem verheerende Szenarien wie planetare Magnetfeld-Polsprünge, Supernovaen und Gammablitze sichern, ähnlich müssen wir auch bei extrem unwahrscheinlichen, aber möglichen verheerenden, gezielten Angriffsszenarien vorgehen. Für die Sicherheit aller Lebensformen unter unserer Verwaltung ist uns keine Anstrengung zu groß, so lächerlich sie auch anmuten mag.” … ➡️ Weiterlesen
Architektur [mehr]
Technologie und Medizin [mehr]
Geschichte [mehr]
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Wirtschaft [mehr]
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Bildung [mehr]
Religion [mehr]
Medizin [mehr]
Trivia [weniger]
Da die Vidiris dem Großteil der interstellaren Bevölkerung über Generationen hinweg bekannt sind, haben sich, erwartbarerweise verschiedene Spaltungen der Mythen über sie ergeben. So sind einige der bekanntesten Alternativbezeichnungen
"Vergiftete Geister": Diese Bezeichnung stammt wahrscheinlich von der quellenungeklärten Annahme, die Viridis waren ursprünglich Lebewesen, die durch irgendeinen Prozess zu lebendigem Metall/Kristall geworden sind. Bei diesem Prozess wurde dem "Volksmund" nach die "Seele" der vormaligen Menschen zerstört bzw. kompromittiert.
"Schlussstriche" bzw. "Sargnägel": Da das Auftauchen der Viridis statistisch gesehen zum Ableben aller umgebenden Lebensformen geführt hat, wurden sie verschiedenen Überlieferungen nach oft mit direkten Todesmetaphern bezeichnet. Auch Titel wie "Todeshurrican" oder "Alptraumwalze" wurden vor allem in politischen und militärischen Kanälen zu Propagandazwecken und zur Mobilisierung breiter Bevölkerungsschichten eingesetzt.
“Endvolk”: Gemäß der Rezeption der Mission und dem Mythos der Unbesiegbarkeit der Viridis werden diese nicht selten auch als “Endvolk” bezeichnet, als das Volk, welches jedem anderen das Ende bringt, welches nicht stark genug ist, sie zu besiegen.
“Spiegel-Evolutoren”: Manche Autoren und Experten zum Thema Viridis sehen in Ihnen einen “autonomen Agenten in Form eines Kollektivs, welcher gnadenlos über das Überleben und die Reproduktionsbreite anderer Zivilisationen entscheidet”. Die Argumentation ist dabei sehr ähnlich der hinter der nächsten Spezies-Bezeichnung:
“Großer Plasma-Filter”: Aufgrund mangelnden Verständnisses der physikalischen Grundlagen von Plasma und dem Mix dieser Fehlannahmen mit der These des “großen Filters”, werden die Viridis manchmal auch als manifeste und bewusste Hindernisquelle zur “nächsten Stufe” einer jeden Zivilisation angesehen.
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Nachdem er die Inhalte kurz überflogen und die wichtigsten Informationen absorbiert hat, schließt Neb den Index wieder und schaut Eliyha und Njörðs an.
Er atmet in einem kurzen, leicht resignierten Schnauben aus.
“Lebendes Metall.” spricht Neb in die Stille hinein.
“Oder lebender Kristall. Was auch immer sie genau sind. Es gibt keine wirklich präzise Letztklassifikation. Alles, was allgemein bekannt ist, ist dass sie aus einer “lebenden”, bedeutet selbstregenerativen, prinzipiell autonom handelnden und nahezu unvernichtbaren Materiekonfiguration bestehen.”
“Falls es sie gibt.” fügt Neb nahtlos an.
“Und nach was sieht dir das hier aus, hm?” fragt Njörðs ihm kraftlos spöttisch entgegen.
“Brecht jetzt bitte keinen Streit vom Zaun, ok?” wirft Eliyha sich in die aufkommende Spannung hinein.
“Wir brauchen jetzt einen klaren Plan, präzisen Fokus und einen kühlen Kopf, wie Neb gesagt hat.” beendet sie Ihren Satz.
“Danke.” antwortet Neb beiden, die aufkeimende Konfrontation damit abschließend.
“Nun dann, mir nach!” durchbricht Neb die Lethargie und läuft in Richtung des Zentrums der verfallenen Obsidianruinen.
Aus der Entfernung und Höhe des Abhangs, von dem aus sie in die Stadt gelaufen waren, sah der uralte Trümmerkomplex eindrucksvoll, aber doch zugleich vollkommen leblos und verlassen aus.
Es war mit bloßem Auge kein klares Ende der ehemaligen Ladungs-Metropole zu sehen, doch sah sie aus der Ferne einfach nur ruhig und wie im Tiefschlag liegend aus.
Aus der Nähe ist das anders.
Die drei Wanderer durchschreiten riesige Alleen beidseitig mit tiefschwarzen, in der Tiefe schemenhaft giftgrün wabernden, quaderförmigen Obelisken.
Seit die ausflugsfreudige Freizeitgruppe so etwas wie die zentrale Hauptstraße des Komplexes erreicht zu haben scheint, wirkt die Umgebung um sie herum noch bedrohlicher und einschüchternder.
Nicht wie ein aggressiver und vor einem mit einem Kampfmesser herumfuchtelnden Attentäter, nein.
Eher wie eine endlos zähe Basswelle, die einem unaufhaltsam Nägel aus allen Himmelsrichtungen entgegentreibt.
Unter ihren Füßen erkennen sie durch schwach glitzernden, schwarzen Staub wie mit feinem Schnee bedeckt längst erloschene, kryptische Muster, welche den gesamten Boden durchziehen.
Hoch oben über Ihnen bilden sich kleine tiefdunkelgrüne, bedrohliche Wolken aus denen gelegentlich kleine Blitze hervorzuschnellen scheinen.
Und um sie herum stehen zu Dutzenden die abgebrochenen Reste riesiger Säulen, Türme und kleiner Festungen.
Neb hat beim Überfliegen ein paar Worte zu den Nexus der Virids gelesen. Schwebende, unheimliche Bastionen, die zeitgleich Portale für die Einheiten der Viridis sind.
So ähnlich wie in diesem nur noch lose in seiner Erinnerung befindlichem Abschnitt beschrieben sehen die riesigen Obsidianstrukturen zu beiden Seiten der unheiligen Hauptstraße aus.
Die Oberflächen aller sie umgebenden Strukturen sind nahezu stumpf, fast inert. Nicht durch den Zahn der Zeit beschlagen, sondern wie durch ein Signal erloschen.
Und doch hat man die ganze Zeit das Gefühl, ein Piranha warte in ihren Innereien nur darauf zuzuschlagen, sobald man ihnen nur für eine Sekunde die Aufmerksamkeit entzieht.
“Wenn das hier eine Ladungswelt ist und unsere Aufgabe darin besteht, diese wieder mit Energie zu versorgen, müssen wir zum zentralen Nexus in der Mitte dieser Ladungswelt!” sagt Neb nach kurzer Analyse der Umgebung und deutet mit seiner rechten Hand die untote Magistrale des Ruinenkomplexes entlang in Richtung einer gigantischen, breiten Pyramide am Ende des seelenlosen “Verkehrswegs” auf dem sie sich befinden.
Reflexartig und beinahe synchron setzen Njörðs und Eliyha zum energiegeladenen Widerspruch an.
Doch nahezu im gleichen Neuronenimpuls wie dem der Kontragesinnung, halten sie wie ein Hochgeschwindigkeitszug, der gegen ein Brückenfundament kracht, inne.
Denn es stimmt, was er sagt.
Es stimmt jedes einzelne Wort.
Sie kennen die Prophezeiung so gut wie Neb. Sie haben das Gleiche erlebt, um an diesen lichtvergessenen Ort zu gelangen wie er.
Sie wollen es sich weder eingestehen noch zugeben. Doch Neb hat recht.
Das nur Sekundenbruchteile andauernde Scharmützel Ihrer Gedanken kommt schlagartig zu einem Ende. Sie kommen hier nur raus, wenn sie mit absoluter Sicherheit wissen, ob die Prophezeiung stimmt. Und ob Neb tatsächlich die Rolle gehört, die ihm das Realitätsschauspiel zugeteilt hat.
Diese ernüchternde Einsicht schlägt bei den beiden auf wie ein Anker auf den Meeresgrund. Doch Widerstand ist zwecklos. “Nur Fortschritt bringt uns weiter!” denkt Eliyha im für Neb charakteristischen Motto und in seiner Stimme gesprochen abschließend.
Mehr als ein kollektives, zum Angriff kräftesammelndes Einatmen ist in der gespenstigen Stille daher in- und nach diesen Augenblicken auch nicht zu vernehmen, bevor die beiden stumm nicken und Neb entwaffnet folgen.
Das Abenteuer-Trivium läuft stumm, doch zugleich höchst wachsam die Allee der trügerischen Ruhe entlang auf die nichts Gutes verheißende, riesige Metall-Obsidianpyramide zu.
Je näher sie dem Obelisken der schlafenden Bestie kommen, desto mehr spiegelt sich dieser dumpf, aber immer besser sichtbar im stahlstaubbedeckten Hieroglyphen-Kristallglasboden.
Noch immer zucken gelegentlich kleine Blitze und Kugelblitze über die wie von ätzender Säure durchdrungenen Wölkchen über Ihnen. Doch abseits der davon ausgehenden pseudoelektrischen Entladungen und den durch den Metallstaub der Äonen gedämpften, sanften Schritten ist absolut nichts zu hören.
Selbst Ihr Atem scheint gedämpft durch die Akustik der alten Bastionsreste.
Vielleicht hat die Luft in Ihren Lungen aber auch einfach nur zu viel Angst davor, ins Offene zu drängen und bleibt daher besonders leise.
Die Minuten vergehen und sie sind so weit an den Fuß der Pyramide herangetreten, dass sie ihre Spitze nicht mehr sehen können, so hoch türmt sie sich vor Ihnen auf.
Sie laufen mit dem Mut der Momentums stoisch weiter und erreichen den Fuß des monumentalen Bauwerks.
Direkt von der Hauptstraße ausgehend zieht sich eine lange, fast glatte Treppe mit winzigen Stufen durchs Zentrum der Pyramide bis zur Spitze. Aus der Entfernung sah dieser Pfad aus wie eine Rinne, durch die beim Stahlgießen das glühende Metall wie ein Lavastrom geleitet wird.
Jetzt sieht er einfach nur aus wie ein langer, anstrengender und ungeschützter Aufstieg.
“Dann erklimmen wir mal den zweiten Berg des Tages!” sagt Neb, mit einem Anflug von mehr erzwungenem als wirklich ehrlichem Humor in der Stimme.
Njörðs und Eliyha schauen sich kurz an, beide mit zusammengekniffenen Mündern und Sorgenfalten in der Stirn.
Sie kennen sich lang und innig genug, um auch ohne Worte zu wissen, wie und wie ähnlich es dem anderen gerade geht.
Sie schauen nach oben, über Neb hinaus zum Ziel des nächsten Gipfels, den sie heute erklimmen. Doch diesmal ist die Stimmung weit weniger freudvoll als beim ersten.
Die Miniaturversion der tausend Treppenstufen, die sie nach oben emporlaufen ist dank absolutem Fokus und vollständiger Stille verhältnismäßig schnell erklommen.
Neb wird die ganze Zeit des Aufstiegs das Gefühl nicht los, dass diese pizzakartongroßen Dominosteine auf denen sie die Pyramidenseite entlang nach oben gehen, binnen eines Sekundenbruchteiles eingeklappt werden und sie auf eine tödliche Rutschpartie zum Boden geschickt werden können.
Je farbenkräftiger er sich dieses Szenario ausmalt, desto mehr hofft er, dass tatsächlich alles in diesem Metropolmausoleum tot ist.
Nach dem kurzen Vertikalmarathon erreicht das Kurzurlaubs-Trio ein Plateau auf der Spitze der smaragdfarbenen Metallkristall-Pyramide.
An den vier Spitzen der rechteckigen Ebene sind mit etwa 1.5 m Abstand zu den Außenkanten der Pyramiden-Außenwand etwa zwei Meter hohe sich zuspitzende und an den Oberflächen flache Quader aufgestellt. Ihre Außenseiten sind mit grabförmigen Platten verziert, welche durch ziselierte Ornamente “geschmückt” werden.
Wieder diese kryptischen Symbole, die die Wände der Gebäuderuinen und den Grund der Magistrale zieren.
Zwischen den verzierten Eck-Quadern wächst das Plateau in durch weitere, doch diesmal angemessen große Treppenstufen verbundene, aufsteigenden Etagen empor.
Es wird gekrönt durch eine Art Steinfass mit vier in diesen Hohlzylinder eingelassenen, verzierten Säulen.
Die Treppen zum jeweils nächsten Level der Pyramidenspitze befinden sich zu jeder Seite genau in der Mitte der Ebene.
Alles hier oben scheint in einer für das bloße Auge nicht wahrnehmbaren Wellenlänge zu glühen und die sonst stickige Luft scheint sich hier oben zur Faust geballt zu haben.
Dies ist kein Ort für die Lebenden, keine Frage.
Neb atmet demonstrativ und gur hörbar aus.
“Ok, so weit, so gut. Wenn alles weiter nach “Plan” läuft, sollte sich im Kern des Stahlringes auf der Spitze oben die Ladungskugel befinden.” sagt Neb analytisch und zeigt mit dem linken Zeigefinger auf die Krone des Pyramidenplateaus.
“Wenn ich laut unserem intersubjektiv-historischen Glaskugelleser-Wetterbericht immer noch “Der Auserwählte” bin, sollte ich sie berühren und daraufhin die ganze Welt hier in einen vor Freude pulsierenden Rummelplatz verwandeln. Wenn das kein Grund zur Freude ist!” beendet Neb seine Analyse mit beißendem Sarkasmus in der Stimme.
“Hast du immer noch nicht genug Neb?! Was zum Saturnmond muss denn noch geschehen, damit du endlich deine überhebliche Arroganz ablegst?!” blafft Njörðs ihn reflexartig an.
“Kein Grund für Ironie, falsche Freude und schon gar nicht für Streit!” fällt Eliyha erneut den beiden beginnenden Kampflinien ins Wort.
“Ich muss deinem Vater aber zustimmen. Ich weiß nicht, ob du es als Schutzreflex oder lebensmüder Fahrlässigkeit machst, aber etwas mehr Realität würde dir momentan tatsächlich ganz guttun!” schließt sie ihren Appell als verbale Boxkampfrichterin ab.
Neb nickt den beiden nur stumm entgegen, dreht sich um und beginnt die erste der vier letzten Treppen der Pyramidenspitze zu erklimmen.
“Schauen wir doch mal, was jetzt tatsächlich passiert.” denkt er sich und setzt den Fuß auf die erste quasischwarze Stufe.
Neb nimmt die insgesamt sechs breiten und in Mikroplateaus aus jeweils zwei Stufen angeordneten Treppenabschnitte mit einem großen Schritt, zu dem er sachte abspringt, in einem Satz.
Während die unterste Doppelstufe vom aschfahlen, grünschwarzen Stahlschnee bedeckt ist, ist die oberste und die erste Etage, in welche sie eingelassen ist, wie poliert.
Anders als auf jeder Oberfläche, die Neb sich bis jetzt gewahr wurde, ist hier plötzlich alles blitzblank. Fast steril.
Auch Hieroglyphen auf dem Boden sucht man vergebens.
Irgendwas ist spürbar anders.
“Kommt ihr?” fragt Neb in Richtung von Eliyha und Njörðs und wird als instantane Antwort darauf mit vorwurfsvollen Blicken belohnt.
Diese breite Zwischenebene scheint zu glühen. Wie eine Fußbodenheizung. Nur dass sie anstatt Wärme ein dumpfes Licht an der Grenze zum sichtbaren Wellenspektrum auszustoßen scheint.
Neb beschließt seinen Forscherdrang ebenso wie die ihm inhärent innewohnende Neugier zu dämpfen und geht etwa drei mittelgroße Schritte weiter zum nächsten Metallquarztreppchen und erklimmt auch dieses mühelos und schnell.
Dieselbe Folge aus kurzem Bodenabschnitt und drei wie gebohnert glänzenden Treppenstufen erklimmt er noch zweimal. Bevor er schließlich vor der finalen Treppe steht, welche sich auf weniger als ein Drittel der Breite der bisherigen Stufen verengt und in den Eckpfeilern und Fundament des Hohlzylinders mündet.
Die letzten Stufen des Aufstiegs verengen sich beidseitig, sodass nur exakt eine Person pro Zugangsseite den finalen Ring zeitgleich erreichen kann.
Neb dreht sich um, seine beiden Ausflugsgastgeber direkt zu ihm aufgeschlossen hinter ihm.
“Bereit?” fragt Eliyha in die spürbar angespannte Runde.
Njörðs nickt mehrfach in schneller Folge, wie um sich selbst zu überzeugen und schaut direkt danach erwartungsvoll zu Neb.
“Wenn es bedeutet, dass mir endlich niemand mehr Prophezeiungstexte als Gutenachtgeschichten vorliest, dann ja, nichts lieber als das!” erwidert dieser mit einer Mischung aus erneut entflammter Streitlust und adrenalinsuchender Energie.
“Gut. Dann nach dir!” zeigt Eliyha mit offener Hand die letzte kleine Treppe entlang nach oben.
Neb erklimmt wie schon zuvor die letzten Stufen des Pyramidenspitzenplateaus in schneller Folge und steht nun vor der gähnend schwarz erloschenen Ladungskugel im Inneren des Hohlzylinders.
Alternierend zu den vier schmalen Zugängen zieren etwa zweieinhalb Meter hohe, etwa einen Meter breite und zur Außenseite abflachende Quader die Fassung der Ladungsperle im Zentrum.
Die leicht angeschrägten Innenseiten der vier Beschützerpfeiler sind durch zwei parallele, in der Mitte positionierte Streifen, mit jeweils acht wie handtellergroß aussehende Münzen geformte Ornamente versehen.
Ansonsten: Stille.
Stille sowohl in Bezug auf die Umgebungsgeräusche als auch die weiteren stilistischen Elemente der Zylinderspitze.
“Dann mal los!” denkt sich Neb, schüttelt kurz seine rechte Hand aus und setzt zur Berührung der Ladungskugel an.
Nebs Hand nähert sich der stummen Kugel bis auf etwa zwanzig Zentimeter, als links und rechts fast zeitgleich Njörðs und Eliyha in zwei der drei anderen noch zugänglichen, schmalen Treppenzugänge auftauchen.
Er hält kurz inne und schaut ihnen, seinen Kopf rasch in beide Richtungen drehend, kurz und analysierend ins Gesicht.
Njörðs nickt ihm kurz zu und Eliyha lächelt ihn vorsichtig ermutigend an.
Neb fokussiert seinen Blick wieder auf die Kugel, nickt und atmet dabei kurz gepresst aus und ergreift sie, soweit das bei der Größe eines Medizinballs praktikabel möglich ist.
Als seine Finger nur noch etwa 4 bis 7 Zentimeter von der Kugel entfernt sind, beginnen schwache, kaum wahrnehm- und sicher nicht spürbare, kleine dunkelgrüne Blitze vom Kugelzentrum zu seinen Fingerspitzen zu schlagen.
Je näher seine Finger kommen, desto stabiler und heller werden diese kleinen verbindenden Spontanentladungen.
Als Nebs Hand nur noch ein fragiler Zentimeter von der schicksalgetränkten Kugel entfernt ist, entlädt sich ein dichtes Nagelbett aus pulsierenden Energieströmen zwischen der runden Obsidianoberfläche und seiner Hand.
Dann drückt er diese mit genug Kraft, um einen Nachttischschrank zu verschieben, gegen die Ladungskugel.
Die tote Welt erwacht.
Mit einem strahlend hellen Paukenschlag explodiert gleißend helles, smaragdgrünes Licht aus der Kugel über das Plateau der Pyramidenspitze entlang nach unten in die gesamte dumpfe Metropole.
Nebs Hand wirkt wie eine Spritze, die eine farbige Flüssigkeit injiziert. Binnen Sekunden färbt sich die gesamte Kugel in ein tiefes, kraftvolles Grün und beginnt rasch stärker werdend zu leuchten.
Und mit ihr die gesamte Welt um die drei Hobbyarchäologen herum.
Neb schaut sich um, das beginnende Spektakel in sich aufnehmend und nimmt dann langsam seine Hand von der Ladungskugel.
Das Schauspiel ist so faszinierend wie einschüchternd.
Wie Polarlichter breitet sich eine Welle an - im Wortsinn - unheimlicher Energie über die bis eben stumme Ruinenwelt aus.
Die unter grünschwarzem Schnee verborgenen kryptischen Zeichen der Magistrale beginnen wie fauchend zu glühen.
Aus den wie abgebrochene, rechteckige Schornsteine wirkenden Obelisken zu beiden Seiten der Magistrale und an vielen anderen Orten der erwachten Großstadt schießen Strahlen grünen “Feuers” in die abgestandene und jetzt mit “Leben” beatmete Luft.
Vormals kaum erkennbare Formen und Muster in den Tausenden verlassenen Gebäuden beginnen wie präzise Schnittkanten eines Katanaangriffs zu strahlen.
Überhaupt wird erst jetzt das unglaubliche Ausmaß und der gigantische Umfang dieser Stadt erkennbar.
Binnen weniger Sekunden erstreckt sich die Energiewelle und die durch sie erleuchteten und angeknipsten Gebäudekomplexe bis zum sichtbaren Horizont und darüber hinaus.
Was vormals wie unter dem Staub der Zeit vergraben und im Nebel des Verfalls verdeckt lag, prescht nun mit dem Drang der Anerkennung und als manifeste Vorahnung durch die Metallquarz-Schneedecke.
“Was auch immer hier residiert oder residiert hat, es muss Millionen davon gegeben haben. Oder noch geben.” durchbricht Eliyha als erste die kollektivgeschockte Stille zwischen den dreien.
Alle drei stehen mit dem Rücken zur Ladungskugel und sehen vor allem eine Himmelsrichtung der gleißenden Milliardenwelt.
Doch jeder dieser sichtbaren Abschnitte reicht bereits mehr als aus, um sie zu überwältigen.
“Na immerhin sind wir jetzt einen Schritt weiter.” antwortet Neb, noch immer zur Stadt zugewandt und bereits nach ihrem nächsten Zielort fahndend.
“Dann hoffen wir mal, dass unser Startpunkt keine Klippe war.” antwortet Njörðs trocken.
Nicht weit von der Pyramide, nur ein paar Kilometer Luftlinie von Ihrem Standort, entfernt, erspäht Neb die Ladungsstation. Ihr finales Ziel auf dieser Welt.
Vormals in der Masse dunkler Schemen untergegangen, wird dank der untoten, aber geometrisch sehr exakten Weihnachtsbeleuchtung dieser Stadt ein rundes Felsplateau, in dessen Seite ein Obelisk eingelassen ist, sichtbar.
Von Nebs Position aus kann er nur diese eine Ladungsstation sehen. Und da sie auch nur eine brauchen, hat er damit ihren nächsten Bestimmungsort ausfindig gemacht.
“Möglich, dass auf den anderen Seiten des kreisförmigen kleinen Gebirgsmassivs dort drüben weitere Ladungsstationen wie diese eingelassen sind, doch wir sollten uns auf die fokussieren, die wir gerade sehen. Und dementsprechend dorthin aufbrechen!” spricht Neb eine Art Bewegungskommando anzeigend an die anderen beiden gerichtet.
Njörðs und Eliyha scheinen etwas abgelenkt durch die Gesamtsituation und antworten zunächst nicht, was Neb zu einer präzisierenden Folgeergänzung veranlasst:
“Heißt: Ich sehe unseren finalen Zielort!” ruft Neb, diesmal etwas lauter, den anderen beiden Teilnehmern der Mysteriensafari zu.
“Bleibt nur die Frage, wo wir den Ladungszylinder finden, um den Obelisken zu öffnen.” ergänzt er seinen Entdeckungssatz um eine kritische Bemerkung.
“Ich glaube, da kann ich helfen!” ruft Njörðs zur Antwort entgegen.
Njörðs, der zur Linken von Neb und auf der, basierend auf der Struktur der Verkehrswege, östlichen Seite der Pyramidenspitze steht, deutet mit seinem Arm in Richtung eines “verwunschenen” Stadtabschnitts.
Eliyha und Neb können von ihrer Position aus kaum etwas erkennen, doch stimmen sie innerlich vertrauensvoll zu und beginnen zeitgleich den Abstieg zum Plateau.
“Dann kennen wir unsere nächsten Stationen! Sehr gut, dann ist endlich Schluss mit dieser Monochromkirmes!” schließt Neb die Entdeckungen zusammenfassend ab.
Die drei gehen rasch die Treppen des Gipfeltempels hinab bis zur invertierten Wasserrutsche mit den eingesteckten, lebensgroßen Shōgisteinen, die sie ursprünglich hinaufgekommen waren.
“Na großartig!” seufzt Neb als er als erster bemerkt, dass seine Befürchtungen vom Aufstieg nun Realität geworden sind.
Die urplötzliche “Elektrifizierung” der gesamten Anlage hat tatsächlich die dünnen Trittplatten in die Außenwand verschwinden lassen. Stattdessen gähnt ihnen jetzt eine wie eine endlos wirkende Bahn aus auf dem Kopf liegenden Tackerklammern entgegen, in der eine Art dichter “Energienebel” wabert.
“Wir sollten uns dann wohl nach einem anderen Weg umseh…” beginnt Njörðs bereits nach Alternativen Ausschau haltend.
“Doch, das sollte passen!” spricht Neb wie aus einem kurzen Berechnungskoma erwacht und Njörðs Aussage ignorierend auf die rechtwinklige und schnurgerade Bobbahn zeigend.
“Stellt einfach eure Füße quer und achtet auf eure Körperspannung. Dann sollte nichts passieren!” ergänzt er mit einem rasch wachsenden Anflug von Freude in der Stimme und geht auf den öffnenden Knick der steil abfallenden Abfahrt zu.
“Ist das dein Ernst?!” entgegnet Eliyha mit einem dumpfen Kreischen der Überwältigung.
“Wir haben keine Ahnung, was genau hier passiert, noch was es mit diesem ganzen Ort hier auf sich hat, NOCH was zum Rydberg Polaron irgendetwas hiervon überhaupt etwas bedeutet und tut!” bricht es jetzt unkontrolliert aus ihr heraus.
Njörðs weiß, dass bei seiner Frau die Nerven nahezu blank liegen, wenn Eliyha beginnt in exotischen Materiezuständen und ähnlichen physikalischen Randphänomenen zu sprechen. Ein, je nach Perspektive, durchaus charmantes Überbleibsel aus Nebs frühester Kindheit. Und mittlerweile ein hervorragender externer Gradmesser für ihren Emotionszustand.
Reflexartig beginnt er die Situation daher offensiv zu entschärfen:
“Na ja, es ist immerhin bei weitem nicht die dümmste Idee des Tages.” Entgegnet Njörðs Nebs offensichtlichem Wahnsinnsvorschlag.
Diese für Eliyha die Situation vollkommen unerwartet brechende Antwort verwirrt sie derart, dass sie einfach nur ihren Kopf zur Seite dreht und die beiden fassungslos anschaut.
Neb dreht sich zu seiner Mutter um und strahlt sie an:
“Vertrau mir, dass wird spaßig!” spricht er, dreht sich auf dem Absatz um und rennt auf die abschüssige, abgewinkelte Startrampe zu.
Was außer Neb niemand im Team weiß: die von ihm für diese Mission ausgewählten Anzüge haben die neueste Generation einer speziellen, instantan-reaktiven Metamaterial-Legierung als Außenschicht, welche mit den meisten Umgebungsbedingungen des Universums in Echtzeit klarkommt.
Die Chancen, dass alles in dieser bisher nur theoretisch postulierten Umgebung absolut optimal läuft, liegen also mindestens bei 50 %.
Und so springt er freudig auf die sich träge wie eine Ölpfütze bewegende “Energieschicht”, stellt seine Füße quer wie Skier bei einer Abhangfahrt und saust die Pyramide entlang nach unten.
Njörðs nimmt die Hand seiner noch immer vollkommen verwirrten Frau, lächelt sie an und schickt innerlich die dringende Stoß-Bitte an die gerade zuschauende Entität der Wahl, dass alles glattgehen möge.
Dann springen die beiden Neb hinterher und “surfen” auf dem kleinen “Energiepolster” wie durch ein Wasserbett die Pyramidenseite entlang, Neb dicht auf den Fersen, nach unten.
“Was für ein Ritt, oder!” läuft Neb den beiden am Fuße der Pyramide freudig entgegen.
Eliyha und Njörðs schauen ihn beide mit dem Zweifel einer oberflächlichen Geisteszustands-Prüfung an.
“Ach, ihr habt einfach keinen Sinn für Humor!” beendet Neb seinen Satz abwinkend und seine Laufrichtung bereits auf ihr nächstes Ziel hin ausrichtend.
Kaum wahrnehmbar den Kopf schüttelnd blickt Eliyha noch einmal kurz nach oben zur Pyramidenspitze, während Njörðs Neb folgt und beide bereits zum Energiegefäß unterwegs sind.
Sie schließt rasch auf und wird schnell Teil des erneuten, kollektiven Fokus. Auch diesmal ist Wachsamkeit das oberste Gebot. Nur diesmal nicht aus Angst vor dem Schrecken aus Ruhe und Dunkelheit.
Sondern aus Sorge vor dem, was sie da geweckt haben.
Sie laufen durch ein voller Energie pulsierendes Gewirr aus Quadern unterschiedlicher Größe und mit unterschiedlichen Verzierungen.
Gelegentlich tut sich links und rechts ein winkliger Graben wie eine perfekt vermessen- und gegrabene Erdspalte auf und verschwindet dann hinter den riesigen Obsidianstrukturen.
Endlose Minuten laufen sie durch diesen Wald an Säulen, Festungen, Bastionen und Türmen bis sich ein weiteres außergewöhnliches und blickfangendes, großes Gebäude zu ihrer rechten auftut.
“Was auch immer der genaue Zweck dieser Stadt war oder ist, er ist gigantisch.” merkt Eliyha mit jedem Schritt überwältigter an.
“Lass es uns einfach hinter uns bringen, ok?” antwortet Njörðs erneut zum Patt der Stille zwischen den dreien zurückkehrend.
“Ok ich glaube da vorn ist es!” sagt Neb und beginnt aus dem Laufschritt in ein sachtes joggen zu wechseln.
Das fröhliche Wandertrio kommt zu einem von zwei riesigen Stahlsteintafeln gesäumten Eingang an den Beginn eines neuen “Stadtviertels”.
Die Tafeln sind etwa acht Meter hoch und zwei Meter breit.
Doch abseits ihrer, wie überall in dieser Stadt scheinbar üblichen, sterilen und schnörkellosen Form verraten sie nichts über sich oder das hinter ihnen liegende.
Gesäumt werden die beiden Platten von kleineren Obelisken, die zu allen Seiten tiefgrün zu glühen scheinen.
Zwischen den gesichtslosen Platten beginnt eine Art Brücke, ein scheinbar schwebender Abschnitt, dessen Fundament im giftgrünen Nebel unter ihm verloren und unerkennbar ist.
Eine Treppe führt sie hinab auf dieses kleine Plateau und von diesem aus geht es rechter Hand über eine kleine Treppe und Brücke zum vormals gesehenen, gigantischen Gebäude, welches frontal aussieht wie ein riesiger Schlund im Grün der sonnenfernsten Innereien des Dschungels.
Zu Ihrer linken gehen ebenfalls kleine Treppenstufen und eine schmale Brücke zu einer Art schwebendem Außenring, welcher verschiedene Abschnitte dieses “Stadtviertels” miteinander zu verbinden scheint.
Geradeaus jedoch wartet ihr Hauptgewinn.
Hinter einem kleinen, auf einem Podest stehenden Würfel, durch dessen zwei schräg geriffelte Zinnen pro Seite strahlendes, grünes Licht strömt, liegt ihr Ziel.
Der Ladungszylinder.
Natürlich müssen sie, um diesen zu erreichen auch wieder eine kleine Treppe und schmale Brücke hinter dieser hinauf.
Doch das Ticket weg von dieser bedrohlichen Welt scheint zum Greifen nah.
Die drei Astrowandersgefährten umringen mit gebührendem Abstand den wie einen kleinen altertümlichen Turm wirkenden, gleißenden Würfel und gehen auf die Treppe zu.
Zu beiden Seiten umschließen hohe, etwa sechs Meter hohe und anderthalb Meter breite Wände die Kanten des Plateaus und den Standort des Würfels an diesem Ende der Verbindungsebene.
Sie überqueren die schmale Brücke, die über einen undurchsichtigen, giftgrün schimmernden, dichten Nebel führt.
Egal wie sehr man sich fokussiert, es scheint keinen Grund zu geben, auf dem der eigene Blick landen kann.
Da sie eh nicht vorhatten, einen Bungeesprung ins Ungewisse zu machen, fokussieren sich alle wieder auf das vor Ihnen liegende Ziel.
Die Brücke mündet in einem breiten Zugang, welcher durch eine sehr breite Treppe gekürt wird, welche im Plateau mit dem Ladungszylinder gipfelt.
Zu beiden Seiten der großen Treppe stehen hohe Türme mit leuchtenden Kugeln wie unheimliche, runde Laternen. Aus diesen Türmen scheint sich dampfendes, noch tiefer als die restliche Umgebung grün gefärbtes Licht, wie aus Wasserfällen zu ergießen.
Das Familienausflugs-Triumvirat geht behut- und achtsam die Treppenstufen zum Plateau hinauf.
Der sie wie ein hinterlistiger Harlekin angrinsende Würfel mit den schrägen Gitterstäben scheint nur auf einen falschen Schritt von Ihnen zu warten, danach zu gieren.
“Achtet auf jeden eurer Schritte” flüstert Njörðs leise, doch bestimmt in die Runde.
Das Plateau erlaubt einen weitestgehend freuen Rundumblick in die Ferne der dumpfen, wie radioaktiv wirkenden Nebelschwaden und das allumfassende Dunkel, in welches diese in der Ferne verschwimmen.
Nur eine große, rechteckige und von zwei lotrecht in die Höhe strahlenden “Lasern” gerahmte Platte steht hinter dem Ladungszylinder auf der Plattform.
Zwei wie Bleiglas wirkende, oszillierende lange Streifen im fortlaufenden Muster eines vierblättrigen Kleeblatts bedecken die Oberfläche der Platte.
“Sieht aus wie ein Teleporter… Ein Portal.” bemerkt Eliyha besorgt zu Neb und Njörðs schauend.
“Ja… Vielleicht werden wir von allen Seiten angegriffen, sobald wir den Zylinder aus seiner Fassung heben.” antwortet Njörðs ebenfalls besorgt und sich rasch in alle Richtungen umsehend.
“Ja. … Oder … Oder nichts davon passiert, und wir nehmen das Gefäß einfach mit wie geplant.” bricht Neb die sich breit machende Beunruhigung.
Sich in möglicherweise trügerischer Sicherheit wiegend und so langsam ungeduldig werdend prescht Neb daraufhin auch direkt zum Zylinder, begutachtet diesen von allen Seiten kurz und bedeutet Njörðs diesen mit anzuheben.
Das Ladungsgefäß ist in einen kleinen verzierten Ring eingelassen und steht ansonsten stumm und beraubt seiner Lebensfüllung da.
“Fass mal mit an Paps!” zeigt Neb in leicht kniende Hebeposition gehend Njörðs auf die entgegengesetzte Position hin.
Das vorschnelle, wahrscheinlich unüberlegte, überhastete und forsche Vorgehen seines Sohnes nur mit einem frustrierten Schnaufen quittierend komplettiert Njörðs die gemeinsame Hebeposition.
Eliyha schaut sich währenddessen stets wachsam in alle Richtungen um und beschützt die beiden als Späher.
“Auf Drei! Eins, Zwei, … Drei!” zählt Neb an und gemeinsam heben sie mit einem breiten Griff aus einer beidseitigen leichten Kniebeuge den Zylinder aus der Fassung.
Sie greifen beide mit einer Hand an den unteren Rand des Zylinders für einen besseren und sicheren Griff und drehen sich beinahe zeitgleich zu den Treppen und den Leuchtnebel-Wasserfalltürmen neben dieser.
“Also gut, dann mal Augen zu und durch - Ich leite euch den Weg!” sagt Eliyha mit dem Mut des erfolgreichen Vorankommens und geht voraus.
Entgegen der teilkollektiven Befürchtungen passiert auf dem nun schwer beladenen Rückweg aus dem Nebelviertel bis zur finalen Ladungsstation nahezu nichts.
Hier und da scheint sich ein Schatten zu bewegen oder eine nahezu perfekt mit der Umgebung verschmolzene Gestalt umherzuhuschen… Doch all das kann auch einfach nur eine Mischung aus hyperaktiver Einbildung und umgebungseingedrückter Paranoia sein.
“Wer an Geister glaubt, sieht auch welche” wie Neb Gesprächspfade in diese Richtung stets trocken auf den uninteressanten Boden zu holen pflegt.
“Denkst du, es gibt nur diesen einen Zylinder auf dieser Welt?” fragt Njörðs in einer der raren Gesprächsunterbrechungen des Rückweges an Neb gerichtet.
“Nun ja, wenn es nur einen Anführer, einen Herrscher, nur einen “Shōgun” im gesamten Universum gibt, warum sollten sie dann mehr als einen pro Ladungswelt haben?” antwortet Neb relativ gleichgültig.
Das Wochenendausflugs-Team kommt problemlos und weitestgehend stumm und auf die Umgebung fokussiert voran und nähert sich der Ladungsstation so weit, dass sie in vollständiger Größe vor Ihnen aufragt.
Die finale Station selber ist ein in den massiven, schroffen und wie vom Zahn der Zeit ausgebleichten, graphitstaubschwarzen Felsen eingelassen.
Und absolut gigantisch.
Groß wie ein Hochhaus, mit einem riesigen wie ein Bullauge oder Einschusskrater wirkendem Loch in seiner Mitte und sternförmig in den Felsen tief eingegrabene Spalten, aus welchen wie von einer Antisonne strömendes Licht aus der Tiefe dieses monumentalen Kolosses strömt.
Die Seiten dieses planetaren Monuments laufen im unteren Drittel zueinanderführend angespitzt aufeinander zu, sodass die Station ein wenig wie eine aus dem Boden sprießende Spitze eines riesigen Speeres wirkt.
Links neben der mit dem bedrohlich und tot glotzendem, seesternförmigen Auge verzierten Front der Ladungsstation steht ein etwa fünf Kubikmeter umfassender Pyramidenstumpf mit einer kleinen Treppe zu seiner Oberfläche.
Wie alles auf diesem Planeten ist auch dieser von tiefer, dunkelgrün-schwarzer Farbe und entgegen der meisten anderen mittlerweile zum Leben erweckten Gebäude schnörkellos und vollkommen gleichgültig ob seiner Umgebung.
Njörðs und Neb balancieren bedächtig den riesigen Glaszylinder die kalten Treppen des dreidimensionalen Trapezoids nach oben und positionieren diesen über der kreisrunden Vertiefung in der Mitte.
Eliyha bewacht das Treiben der beiden zwischen der gigantischen Ladungssäule und dem kleinen Fundament zu seiner linken stehend aufmerksam und mit Argusaugen.
“Wie vorhin; auf Drei!” zählt Njörðs das koordinierte Abstellen und mittige Positionieren des Ladungszylinders an und in anmutiger und langsamer Synchronität beginnen die beiden das voluminöse Gefäß abzusetzen.
Doch anders als zu Beginn und definitiv anders als erwartet nimmt die abgesägte Pyramide unter Ihren Füßen ihnen von einem Moment auf den anderen das gesamte Gewicht aus den Händen und der Zylinder beginnt vor Ihren Augen kerzengerade zu schweben.
Die beiden lassen das Ladungsgefäß los und schauen seine obere Kante an.
“Hm, endlich mal was, dass von allein funktioniert!” kommentiert Neb die verwirrende Überraschung und deutet Njörðs mit einer Handbewegung, mit ihm die Treppen hinunterzugehen.
“Alles ok bei euch beiden?” fragt Eliyha, die Augen noch immer rasch abwechselnd auf die verschiedenen Seiten der direkten Umgebung gerichtet.
“Alles super, ab hier übernimmt der Planet wie es scheint.” antwortet Neb die letzten Stufen hinabsteigend.
Njörðs kommentiert das ganze nur erneut mit einem kurzen Schnaufen und unmerlichen Kopfschütteln, direkt hinter Neb den Planetenboden erreichend.
Während sich eine mögliche erneute Diskussion ankündigt, beginnt der Ladungszylinder mit unbeeindruckter Ruhe und ruhiger Präzision zum glühenden Auge der vor ihnen aufgebäumten Festung zu schweben.
Etwa auf halbem Wege dreht er sich um einmal exakt im rechten Winkel und beginnt in der Luft “liegend” seinen Kurs wie ein Schlüssel ins Innere der strahlenverzierten Bastion fortzusetzen.
Die drei Feiertagsgefährten beobachten stumm das sich vor Ihnen in Zeitlupe abspielende Schauspiel, bis der Zylinder vollständig im vor Ihnen thronenden Koloss verschwunden ist.
In der Sekunde, in der das Ende des Zylinders mit der Außenhaut der Ladungsstation verschmilzt, beginnen die “Sonnenstrahlen” von außen nach innen zu erlöschen.
Für ein paar Augenblicke scheint sich eine alles verschlingende, vollkommene Stille vor Ihnen aufzubauen.
Njörðs ertappt sich dabei, seinen Atem anzuhalten, während die sich die Ladungsstation vor Ihren Augen umzubauen scheint.
In der Sekunde, in der er sich erinnert, schießt das Licht aus dem Zentrum des mysteriösen Festungsauges mit ungeahnter Kraft wieder in seine Strahlenarme.
Wie ein in finsterster Nacht angeschalteter Flutscheinwerfer strahlt die Ladungsstation Energie ab und scheint zu pulsieren zu beginnen.
Wie eine gigantische, aus dem Nichts befeuerte Bunsenbrennersymphonie ertönt laut aufflammend hinter den Wällen der sterngekrönten Speerspitze.
Während der aus der Erde schießende Flammenwerfer immer lauter wird und sich in seine Klangwand immer stärkeres elektrisches Knistern und Knacken einwebt, öffnen sich zwei riesige Frontplatten der Ladungsstation den dreien entgegen.
Wie zwei gespreizte Zirkelbeine die sich synchron voneinander weg bewegen, öffnen sich die gigantischen, schwebenden “Flügeltüren” der Ladungsstation vor Ihren Augen.
Mit jedem Zentimeter, den sie mehr vom Innenleben der Ladungssäule preisgeben, nimmt die einnehmende Soundkulisse an Lautstärke und Intensität spürbar zu.
Die Hände zum Schutz vor dem gleißenden Inneren vors Gesicht erhoben, weichen Eliyha und Njörðs instinktiv ein paar Schritte zurück von der Quelle der Hitze, Laut- und Lichtstärke.
Neb hingegen hebt nur eine Hand zum Abschirmen seiner Augen und beginnt intuitiv auf die sich vor ihm aus dem Boden schießende Feuersäule zuzubewegen.
Wie eine brennende Ölquelle explodiert unaufhörlich weiter der riesige Feuerstrahl aus dem Boden in die Höhe der Ladungsstation.
“Neb… was tust du da?” schreit Eliyha gegen den Wall aus knackendem Feuer und pulsierender Energie an.
Neb senkt seine Hand und bleibt an der Bodenschwelle der Ladungsstation, beinahe direkt vor der Strahlenquelle stehen.
“Der Zylinder muss wie ein Prisma oder dergleichen wirken. Er scheint die Energie der Ladungsstation so zu kanalisieren, dass diese jetzt voll funktionsfähig arbeitet.” ruft Neb mehr an sich selbst gerichtet und dem Energiestrahl vor ihm entgegen.
“Das ist sicher alles richtig, aber bitte komm jetzt weg von dieser Feuersbrunst Neb!” antwortet Eliyha rasch in Panik geratend und auf Neb zulaufend.
Njörðs hält sich nicht lang mit Reden auf und schreitet direkt zur Tat. Er läuft, den Blick abgeschirmt und gesenkt, direkt auf Neb zu und will diesen vom ihn offenbar paralysierenden Laser wegziehen und wieder zur Besinnung bringen.
Doch gerade als er ganz kurz davor ist, Nebs Arm zu fassen zu bekommen, dreht dieser in einer flüssigen Bewegung seine Schulter aus dem beginnenden Griff und wehrt die Hand mit einer leichten Bewegung ab.
Er geht von dieser Mikro-Choreographie direkt in eine intensive Umarmung über, nach der er Njörðs mit unerwartet großer Kraft von sich weg und zu Eliyha stößt.
Während Njörðs nach hinten taumelt und seinen Fall abwehrt, beginnt Eliyha auf Neb zuzustürmen und zu schreien.
Doch es ist zu spät.
Neb hat bereits begonnen, die Schwelle zu übertreten und befindet sich jetzt nur wenige Zentimeter von dem vor ihm liegenden, infernalen Flammenschacht entfernt.
“Danke!” sagt er im ihn umgebenden Feuersturm stumm, seiner Mutter direkt in die Augen schauend.
“Ich liebe euch!”
Dann tritt er mit einem großen und entschiedenen Schritt in den tiefgrünen, energiepulsierenden, turmbreiten Feuerstrahl und wird von diesem augenblicklich und vollständig verzehrt.
Eliyha rennt noch immer wie um ihr Leben schreiend auf den riesigen, blitzumspielten, offenen Hochofen zu, als Njörðs sich um ihren Oberkörper und die beiden vor der Ladungsstation zu Boden wirft.
“Das kannst du nicht machen, er ist fort!”schreit er ihr, sie eisern umklammernd, ins Gesicht.
Seine sich vor Verzweiflung aufbäumende und wie ein angeschossenes Tier kreischende Frau noch immer im Klammergriff rinnen Njörðs zu Boden schauend die Tränen über die Wangen.
Was ist hier nur passiert? Wie sind sie in diesen surrealen Schlamassel geraten? Ist das alles hier überhaupt real? Warum hat Neb das getan? Wie kommen sie von hier weg?
Tausende Fragen fliegen Njörðs wie unwuchtige Wurfsterne kreuz und quer durch den Kopf, während er mittlerweile halb aus Verzweiflung, halb aus Nähebedürfnis Eliyha mit aller Kraft in den Armen hält.
Diese wiederum schreit mit der Kraft der Hilflosgkeit gegen die Realisation des sinnlosen Status Quo an.
“Wohwohwohowoh! Mal langsam, ihr überengagierten Hobbyschauspieler!” spricht Neb den beiden vor Ihnen auf dem Boden der Bergspitze liegend, lachend entgegen.
Eliyha schreit noch immer wie aufgespießt, während Njörðs sie paralysiert und regungslos in seinen Armen hält.
Als mit einem Schlag die gesamte Situation über Ihnen zerbricht, ihre Augen von völlig neuem, hellen Licht und ihre Ohren vom Wind der Bergspitzenumgebung getroffen werden.
Wie ein Beamter, der mit etwas Neuem konfrontiert wird, weigern sich ihre Sinne kurz, aber mit stoischer Sturheit die neuen Eindrücke zu akzeptieren.
“… Neb? … Neb?!” löst sich die Körperspannung von Eliyha und ihre Schreie verwandeln sich in manifesten Unglauben.
“Was?” fragt Njörðs wie vom Blitz getroffen und ebenfalls in Richtung der bekannten, aber soeben für immer verloren geglaubten Stimme.
“Hört auf mir Angst einjagen zu wollen, ihr beiden Scherzkekse! Es war eure Idee diesen Berg zu bewandern und die Wahrheit hinter dieser mysteriösen “Prophezeiung” herauszufinden! Kein Grund jetzt, so kurz vor Schluss, die Spielverderber zu mimen!” spricht Neb heiter und mit rasch größer werdender Verwirrung in seiner Stimme auf die beiden vor ihm zu einem Knäuel Verknoteten zulaufend.
“Aber… Was zum? Was ist hier passiert?” fragt Eliyha, sich misstrauisch in alle Himmelsrichtungen umschauend.
Njörðs löst seinen Griff um und gräbt seine Finger in den kargen Erdboden der Bergspitze.
Er lässt seinen Blick suchend über die vor ihm liegende Wolkendecke schweifen, blickt Neb musternd von oben bis unten an und steht kurz nach Eliyha auf.
Er klopft sich den Staub aus seiner kosmischen Wanderkleidung und setzt zu einem Satz an, der direkt in seinem Mund verstummt.
Eliyha stürmt währenddessen wütend auf Neb zu, der ihr mit offenen Armen von oben entgegenläuft und nur verwirrte Satzfetzen beginnt und direkt wieder beendet.
Die beiden treffen aufeinander und Eliyha brüllt ihm vorwurfsvoll doch zugleich voller Liebe direkt ins Gesicht.
“Was sollte das?! Was hast du hier gemacht? Wo bist du hin? Warum… Warum?!” wirft sie ihm eine gleichsam freudvoll wie erschöpfte Wand aus Energie und Worten entgegen und hämmert mit ihren Fäusten gegen seine Brust.
Neb nimmt sie liebevoll in die Arme und schaut Njörðs fragend an.
“Was ist gerade passiert, Neb?” fragt dieser, kleinere Erdbrocken zwischen seinen Fingern herabrieseln lassend, nun auch auf die beiden zugehend.
“Was meint ihr?” fragt Neb, sich immer noch veralbert vorkommend.
“Ich bin die letzten Meter des Gipfels hinaufgerannt, und das nächste, was ich höre, ist dein Kreischen. Und als ich mich umdrehe sehe ich euch beide auf dem Boden liegend. Ich sollte diese Frage also eher euch stellen.” geht Neb seine Ereignisversion durch.
“Du kannst dich also an nichts erinnern, Neb?” fragt Njörðs sachlich und vorsichtig forschend.
Eliyha löst sich aus der Umarmung von Neb, gibt ihm einen kurzen Kuss auf die Wange und dreht sich nickend zu Njörðs um.
Dieser nickt zurück.
So ist die Prophezeiung also eingetreten. So hat es also begonnen.
Das Freiluft-Trio läuft den Berg hinab und bespricht die verschiedenen Ereignisvarianten miteinander.
Neb fragt immer wieder, ob es dann nicht vielmehr sinnvoll sei den Gipfel final zu erkunden, anstatt ohne Ergebnis direkt den Abstieg anzutreten.
Doch meistens werden seine Anmerkungen diesbezüglich geflissentlich übergangen.
Bis sie an einem kleinen, von einer gefrorenen Krone überzogenem Bächlein, einem eiskalten Wasserfall vorbeikommen, welcher sich unter einer kleinen Holzbrücke unter ihrem Weg weiter Bahn bricht.
An diesem Punkt des Rückwegs sind Njörðs und Eliyha fertig mit Ihren Ausführungen und wissen genug, um alles im Kontext der Prophezeiung einschätzen zu können.
Und so bleiben sie stehen und sagen wie im Einklang an Neb gerichtet:
“Du kannst dich vielleicht nicht erinnern, aber die Handlungskaskade wurde bereits in Gang gesetzt. Alles was getan werden musste, ist bereits getan. Du kennst die Prophezeiung besser als irgend sonst jemand. Du weißt, was als Nächstes geschieht, wenn wir drei hier stehen, wie wir es tun. Daran besteht nun kein Zweifel mehr.” spricht Eliyha durch tiefe Einsicht und Desillusion geformte Ruhe.
“Gehen wir nach Hause” schließt Njörðs das Plädoyer, umarmt die beiden und bringt die Gruppe in Bewegung.
Wenige Momente später bleibt Neb, den linken Zeigefinger erhoben und den Kopf im Nachdenken versunken stehen.
“Angenommen, alles stimmt, was ihr sagt. Müssten dann nicht irgendwelche jetzt konkret sichtbaren Spuren dieser Veränderung hier manifest werden oder schon geworden sein? Bevor ich euch liegend gesehen habe, habe ich kein Portal, keinen Stein, keinen Lichtblitz, gar nichts gesehen. Wenn die “magischen Mühlsteine des Schicksals” jetzt aber losgetreten sind, sollten wir das nicht irgendwie spüren?” fragt Neb, die Prophezeiung im Kopf rezitierend und abgleichend an die beiden.
“Wir werden die Auswirkungen früh genug spüren, dessen bin ich mir sicher.” antwortet Njörðs stocknüchtern.
“Hm. Ich schätze, darüber muss ich nachdenken” schließt Neb die Miniaturkonversation sodann.
“Auf der Heimreise hast du mehr als genug Zeit dafür Neb. Lasst uns jetzt einfach den Moment genießen, in dem wir alle drei vereint sind.” antwortet Njörðs wie spontan erleuchtet, lächelnd und Eliyha und Neb erneut in den Arm nehmend.
“Genießen wir einfach jede gemeinsame Sekunde.” spricht Njörðs in die umarmte Gruppe.
Der Rest des Abstiegs verläuft weitestgehend erheitert und leichten Herzens. Die drei genießen die Natur und den sich dem Ende zuneigenden Tag.
Bis kurz vor dem Beginn des Berges und der Erreichung des Tales zu seinem Fuße Neb doch nochmal die Sprache auf die scheinbar erlebten Parallelgeschichten bringt.
“Ihr habt mich vorhin verschiedentlich gefragt, warum ich eurer Erinnerung nach so gehandelt habe, wie ich gehandelt habe.” beginnt Neb die über die Zeit wohl abgewogene Antwort.
“Vorausgesetzt, alles spielt sich wie von euch beiden nahezu deckungsgleich beschrieben ab: Da ich, wie ihr vollkommen richtig bemerkt habt, die Prophezeiung mittlerweile quasi selbst aus dem Gedächtnis handschriftlich verfassen könnte, wüsste ich jederzeit, was zu tun wäre und würde dies unkommentiert auch tun.
Warum auch nicht? Ihr kennt die pseudoaufschreckende Gruselgeschichte so gut wie ich, ich sehe keinen Sinn darin, die im Rahmen dieser offensichtlich- bis vorgegebenen Wahlen tiefer zu begründen.” führt Neb aus.
“Aber…” beginnt Eliyha einzuhaken.
“… Angenommen, die Abläufe und Stationen im Rahmen dieses Religionsschauspiels sind mehr oder minder stark vorgegeben und kausal, also aufeinander aufbauend und voneinander abhängig. Angenommen also, dass in diesem Rahmen alles mehr oder minder deterministisch, also quasi “vorfestgelegt” sind, dann weiß jeder Beteiligte zu jeder Zeit, was er zu tun hat. Und auch was jeder andere Beteiligte zu tun hat. Das ist ja das “interessante” an solchen Geschichten. Da einem von vornherein die freie Wahl abgesprochen wird, kann man auch direkt zur Tat schreiten. Ich sehe tatsächlich keinen Grund unter diesen gegebenen Vorannahmen auch nur ein überflüssiges Wort zu verschwenden. Jeder weiß wie der Film am Ende ausgeht. Warum also die Szenen groß erklären?” schließt Neb Eliyhas Entgegnung vorsorglich entschärfend.
“Ihr wisst, was ich in eurem “Zeit- bzw. Realitätsstrang” getan habe. Ihr kennt die “Vorgaben” der Prophezeiung. Der Rest ist das Wiedergeben des kleinen Einmaleins aus dem Gedächtnis.” ergänzt Neb, auch Njörðs möglichen Erwiderungen direkt vorgreifend.
“Ich denke damit ist auch im jetzigen Kontext alles Relevante dazu gesagt, oder? Gut, dann lasst uns nach Hause gehen. Ich freue mich auf den Abend mit euch beiden!” beendet Neb seine begonnenen und mitgeteilten Gedanken Eliyha und Njörðs breit angrinsend.
“Erster am Startplatz!” ruft Neb den beiden plötzlich entgegen und rennt zu ihrem Heimatticket.
Njörðs greift die Hand von Eliyha fest und liebevoll und schaut ihr kurz darauf ins Gesicht.
Die beiden lächeln sich an und küssen sich.
Dann gehen sie gemeinsam Neb hinterher in die sich langsam senkende Wärme des sich zur Ruhe legenden Tages.
Nur wenige Hundert Meter von ihrer interplanetaren Aufbruchsposition entfernt wird Neb langsamer und kommt dann zum Stehen.
Nach all den aufwirbelnden Gedanken und Gesprächen musste er kurz seinen Körper und Geist gleichsam “durchlüften”. Die letzten Schritte auf diesem Planeten allerdings möchte er gemeinsam mit seinen Eltern gehen.
Er geht den beiden lächelnd ein paar Schritte entgegen und vergräbt seine Hände in seinen Anzugstaschen während er über das schöne Bild nachdenkt, welches die beiden so Hand in Hand in der Abendwärme abgeben.
Dann spürt er etwas in seiner Tasche und er fasst sich innerlich fragend, prüfend nach.
Was er zwischen seinen Fingern erkennt, jagt ihm einen Schock die Nackenhaare entlang.
Es ist der Flammenkarneol.
To be continued.